Befreit Gott von den Gläubigen! by Horst Herrmann

Befreit Gott von den Gläubigen! by Horst Herrmann

Autor:Horst Herrmann [Herrmann, Horst]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783828863002
Herausgeber: Tectum Verlag
veröffentlicht: 2015-10-27T16:00:00+00:00


Ergreifen der Wortgewalt

Prozess und Resultate des Erfolgs sind historisch weit gedehnte Vorgänge. Zwar halte ich Definitionsmacht für einen zu gewaltigen Begriff für so frühe Ereignisse. Doch schon bevor es die Vokabel gab, dürfte sich die Sache entwickelt haben. Vielleicht aus der Chance, die Männer sich griffen, indem sie quasi-offiziell zu sprechen und zu erzählen begannen: Wer über die Kraft der Rede verfügte, konnte Erfahrungen weitergeben, Mythen erfinden, die Zeit vertreiben. So einer wurde Häuptling, Geisterbeschwörer oder Märchenerzähler.

Eine Fertigkeit lässt sich profitabel verwerten: Greise konnten ihr gehäuftes – und wohl schon selektiertes – Wissen auf die Jungen übertragen. Mädchen aber hörten zu und hatten bald nichts mehr zu sagen.

Die Schrift ermöglichte es schließlich, Erzählungen unabhängig vom Erzähler weiter zu geben. Freilich ließen sich auch das Schreiben und das Lesen reservieren: Frauen waren über Jahrhunderte davon ausgeschlossen und auf ihre angeblichen Zierkulturen beschränkt. Diese fielen männerdienlich aus. Mehr brauchte es nicht.

Während Frauen säugen, reden Männer. Bis heute soll die Frau in der Versammlung eigentlich schweigen252, meint die Bibel. Dieses Buch verwaltet auch hierin uraltes, hoch selektiv genutztes Erbe. Männer haben immer etwas zu erzählen, meinen sie selbst. Und mit der Zeit haben nur noch sie etwas zu sagen. Sie nutzen ihre Überlebensvorteile: Indem sie die Macht übernehmen, anderen Menschen, Tieren und Sachen ein bestimmtes Namensschild anzuheften, das künftig allgemein gelten soll, üben sie ihre Rolle ein. So werden zumindest die Durchsetzungsfähigsten unter ihnen zu Wertevätern.

Die autoritäre Kraft, Wörter zu bilden und diesen einen Sinn zuzulegen, hat die Verständigung revolutioniert und das mobilisiert, was Werteväter Geist (Logos) nennen. Verständlich, dass Sinn-Worte vor allem dazu dienen konnten, die als überirdisch empfundenen Mächte des Himmels und der Erde zu beschwören, zu gängeln oder zumindest gnädig zu stimmen.

Jede Erklärung war auch in diesem Männer-Fall besser als gar keine. Alles um sich herum sah der Wertevater lebendig. Alles, was ihm begegnete, war freundlich oder feindlich. Alles musste besprochen werden. Und wem es gelang, sich das entsprechende Deute-Amt zu sichern, hatte Macht. Bis heute hat sich an diesem Mechanismus nicht viel geändert.

Die professionellen Interpreten der Gegenwart nutzen zwar andere Medien als früher. Sie benötigen mehr Maschinen als damals. Doch auf Sinn-Worte sind sie nach wie vor ebenso angewiesen wie auf den Glauben derer, an die sie sich wenden.

Durch Zauberkräfte, Mythen und Legenden auf den Lauf der Welt einwirken zu wollen, die Sprache der Natur so zu verstehen, dass sie aufs Wort gehorcht, ist eines der ältesten Bedürfnisse derer, die sich als Werteväter definieren. Es hat Jahrtausende gedauert, bis diese Wortmächtigkeit allein den Männern gehörte. Auch Patriarchen siegen nicht von heute auf morgen.

Dürfen Frauen aber nichts mehr sagen und verstummen sie schließlich, können die Männer in ihren Diskursen den Minderbesitz der Frauen noch weiter ausschlachten. Sie tun es mit Begeisterung. Die Zahl der einschlägigen Stellen ist Legion. Immer gehen sie davon aus, dass Mann zu sein keine Besonderheit darstellt, Frau zu sein aber erklärt werden muss, und wie.

Die Journalistin Susanne Baller stellt klar, dass sich das männerdienliche Frauenbild, wie es Medien vermitteln, im Grunde seit den 60er Jahren nicht verändert hat253.



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